Creditcard schlägt Wildcard

Vor dem eigentlichen Bericht eine kurze Klarstellung. Ein Blog, der von einem Journalisten geschrieben wird, läuft immer Gefahr bei Krankheit 'auszufallen'. Genau das ist in den letzten Tagen leider geschehen. Besten Dank für die zahlreichen Genesungswünsche, die mich per Email oder anderen Wegen erreicht haben. Mittlerweile bin ich wieder in Hamburg. Der heutige Eintrag speist sich lediglich aus den Eindrücken, die ich in den Wochen vor meiner Abreise gesammelt habe, und aus der gestrigen Sky-Live-Sendung.


Das deutsche Team hat gestern gegen Katar mit 24:26 (14:18) verloren. Die Partie war spannend, das Niveau allerdings etwas bescheiden, da viele Fehler zu beobachten waren. Im ersten Durchgang bekam die Sigurdsson-Truppe kaum ein Bein auf den Hallenboden. Der Rückstand von vier Toren hätte eigentlich größer sein können. So spielten beispielsweise die Katarer kurz vor der Pausensirene einen Angriff nicht vollständig aus und mussten noch ein Konter-Tor hinnehmen.

In der zweiten Hälfte kämpfte sich die deutsche Auswahl heran. Patrick Wienceks Birne leuchtete dabei wie die von Jupp Heynckes. Doch es gelang der Mannschaft nie, die Führung zu übernehmen. Das lag auch an einigen umstrittenen Schiedsrichterentscheidungen. In den letzten Minuten war es allerdings Patrick Groetzki, der gleich mehrfach frei vor Danijel Saric scheiterte. Der katarische Schlussmann wurde nach Abpfiff zum Mann der Partie gewählt.


So viel zum Spiel als absolute Kurzfassung. Die Aufregung nach der Partie war aufgrund der Unparteiischen groß unter den Fans. Die deutschen Spieler verbargen zum großen Teil ihre Wut und sprachen von einer schlechten eigenen Leistung, womit sie die eigene Leistung treffend analysierend. Denn erst funktionierte der Kreis nicht, dann kassierten die Bundesligaspieler eine Unmenge an Gegentoren aus dem Rückraum.


Rund um das Spiel kochte zudem die Geschichte der zusammengekauften katarischen Mannschaft noch einmal hoch. Nur vier der Spieler im Kader waren auch vor wenigen Jahren schon spielberechtigt für die Mannschaft. Wie ich in einer Beschreibung des Teams schon einmal dargestellt habe, besteht es fast nur aus eingebürgerten Profis.


Als emotionaler Höhepunkt seiner Berichterstattung rief Sky-Reporter Karsten Petrizka in der zweiten Hälfte: "Wir hoffen, dass Herz Geld schlägt." Hat er diesen Satz wirklich ernst gemeint? Hätte er ihn vor einem halben Jahr auch im WM-Achtelfinale der Fußball-WM ausgerufen, als Algerien knapp dran war, die Multimillionäre aus Deutschland zu schlagen?


Die katarischen Spieler werden fürstlich belohnt für ihren Erfolg. Das wurden die deutschen Spieler im vergangenen Sommer auch. Der in der Aussage offenbar enthaltene Verdacht, dass sie mit weniger Herz als die Gegenseite agieren würden, ist eine aus meiner Sicht haltlose Unterstellung. Schon während der Partie war auf katarischer Seite eine Unmenge an Emotionen zu beobachten.


Zudem müsste der Sport bei Bestätigung der Petrizka-These noch mehr um seine Glaubwürdigkeit bangen, als es ohnehin der Fall ist. Schließlich bestehen die Ligenwettbewerbe auf höchster Ebene ausschließlich aus 'Söldnern', die Geld mit ihrem Beruf verdienen wollen.


Natürlich ist die Handball-WM in Katar eine Farce. Gestern hat ein Team, das so gut wie gar nichts mit Katar zu tun hat, einen Gegner aus dem Wettbewerb geworfen, der niemals in der Wüste hätte antreten dürfen, aber aus dubiosen Gründen mit einer Wildcard ausgestattet wurde. Das ist die eine Seite der Medaille.


Doch es muss ebenso hinzugefügt werden, dass auch der deutsche Sport regelmäßig die Chance nutzt, sich mit Akteuren aus dem Ausland zu verstärken. Über dieses Thema wird es - wie angekündigt - nach der WM noch einen langen Artikel geben. Deshalb sei an dieser Stelle nur auf Andrej Klimovets und den schon verstorbenen Oleg Velyky verwiesen, die beide vom DHB vor der WM 2007 eingebürgert wurden. Beide Spieler haben in ihrer Vita mehr Partien mit Weißrussland beziehungsweise Ukraine absolviert als für den deutschen Verband.


Die Katarer nutzen eine bestehende Regel exzessiv. Sie empfinden dabei nichts Ehrenanrüchiges: Wenn man etwas nicht hat, aber gerne besitzen würde, kauft man sich es eben. Geschehen mit der WM, drei modernen Hallen, eingeflogenen Fans und einer genau ausgewählten Mannschaft samt erstklassigem Betreuungsstab. Chapeau. Hinzu kommt eine Marketing-Maschinerie, die auch mal Journalisten einfliegen lässt. Was ein sehr viel größerer Skandal ist, als der Kader der Nationalmannschaft. Ob das auch für Schiedsrichter gilt? Ich weiß es nicht. Dazu braucht es natürlich Beweise. Einige dieser Elemente waren 2002 in Südkorea übrigens auch schon zu beobachten. Die Katarer sind eben nur noch dreister und damit effektiver.


Wenn nun gemeckert wird, Katar 2015 sei schlimmster Kommerz, pflichte ich solchen Aussagen uneingeschränkt bei. Ich habe mich vor Ort teilweise richtiggehend geekelt. Doch was ist guter und was ist schlechter Kommerz? Welche Instanz kann darüber urteilen? Noch einmal: Die Katarer haben sich bei der Zusammenstellung ihrer Mannschaft an die bestehenden Regeln gehalten. Nicht mehr und nicht weniger. Dass das in vielen anderen Punkten rund um die WM nicht unbedingt der Fall war, ist ebenso deutlich zu erkennen. Zu allen Vorwürfen lassen sicher immer auch Beispiele aus diesem Jahrhundert finden, dass die angeprangerten Punkte schon einmal so oder ähnlich umgesetzt wurden - oft subtiler.


Richtig verarscht wurden gestern offenbar deutsche Fans, die trotz gültiger Eintrittskarte nicht in die Halle gelassen wurden. Das kann ich nicht bestätigen, denn ich bin ja nicht mehr vor Ort. Ich kann nur wiederholen, was zu diesem Thema zu hören war. Die Organisatoren sollen massenweise Fans ohne Ticket zum Spiel gelassen haben, um keine Lücken auf den Rängen zu haben. Plötzlich war die Halle wohl voll und alle noch draußen befindlichen Handballfreunde sollen außen vor geblieben sein. Wenn dies so stimmt, hoffe ich, dass der DHB sich vehement dafür einsetzt, dass die weitgereisten Anhänger sehr großzügig entschädigt werden. Im Gegensatz zu den anderen Punkten habe ich von solch einem Organisationsverhalten noch nicht gehört.

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