Verloren im Celler Loch

Die Fans setzen sich vor dem Teambus und verhindern dessen Abfahrt, bis eine Hundertschaft den Weg freiräumt, Präsident Oke Göttlich will den Trainer noch in der Pause feuern, spricht diesem aber nach "Lichtblicken in der zweiten Hälfte" das Vertrauen aus und steht nun selbst im Kreuzfeuer der Kritik, genauer im berüchtigten St.-Pauli-Forum. Dort gehen verschiedene Fronten aufeinander los, weil jede/r besser weiß, warum der Verein sich in der schlimmsten Situation ("letzter Sargnagel", "finanzieller Kollaps", "AFM-Klüngel", "Ideologisch verblendet", "Der Typ hat nicht mehr alle Latten am Zaun", "korrumpiertes Göttlich-System", etc.) seit mindestens 200 Jahren befindet. Und das alles nur, weil die Ersten Frauen mit 0:5 untergegangen sind.

 

Nein, das stimmt natürlich so nicht - in einer Welt, in der Fußball immer noch eine wunderschöne Wochenendbeschäftigung von Amateuren ist. In der Parallelwelt Profifußball wird hingegen auf jeden Pups geachtet. Dort macht ein Trainer nach einer 1:2-Niederlage seine Mannschaft in der anschließenden Pressekonferenz nieder ("Taktisch, technisch, mental - ein einziges Defizit") und Kollege Thomas Hennecke analysiert im kicker-Sportmagazin gar: "Dass die Fans nicht mit nachvollziehbaren Protesten die ohnehin schwierige Gemengelage weiter verkomplizierten, dürfen die BVB-Profis als einzigen positiven Aspekt eines gründlich missratenen Wochenendes betrachten."

 

Die Gier im Profifußball

In diesem Fall hatte Borussia Dortmund am letzten Samstag eine knappe durchaus unglückliche Niederlage beim aktuellen Tabellenvierten Eintracht Frankfurt hinnehmen müssen, die vor einigen Wochen Bayern München in Unterzahl einen Punkt abgenommen hatten. Jene Bayern, die der BVB eine Woche zuvor besiegt hatte! Davor hatte der FCB ein halbes Jahr keine Niederlage in der Liga kassiert ...

 

Die Tuchel-Truppe sorgte dann vier Tage später  mit einem 8:4 über Warschau in der Champions League weiter für Furore. Doch scheinbar zählt im Profifußball nur noch die Momentaufnahme, nichts anderes mehr, denn jeder Fehltritt könnte Millionen kosten. Wie ein gehetztes Tier schlingert dieser von Woche für Woche von Spitzenspiel zu Spitzenspiel, seine Akteure blasen sich gleich selbst mit auf und verlieren sich in dieser gekünstelten Welt.

 

Einigkeit demonstrieren

Solch einen Rückschlag erlebten die Frauen des FC St. Pauli vor vier, fünf Jahren auch, als sang- und klanglos nach einer total verkorksten Saison aus der Verbandsliga abgestiegen wurde. In der Folge wollten zwei Wichtigtuer sich selbst profilieren und versuchten die Abteilung mit Unterstützung des damaligen Präsidiums zu spalten. Nach heftigen Wochen der Unruhe mit Schlägen unter die Gürtellinie wurde diesem Treiben ein Ende gesetzt, weil sich die Mitglieder der Abteilung nicht spalten ließen und Einigkeit demonstrierten.

 

Das Ergebnis kann sich 2016 sehen lassen! Das damalige ruhige aber entschlossene Handeln kann als Vorbild für die aktuellen Entscheidungsträger des Hauptvereins dienen. Ich bin froh, diese Verantwortung nicht auf meinen Schultern tragen zu müssen, und denke nicht, dass Oke die Zeit dafür hat, diesen kleinen Blog zu verfolgen. Falls doch, alles Gute zum Geburtstag und Danke für das Gerademachen für den Verein in dieser schwierigen Zeit!

 

Blamage in Celle

Nun aber zum Spiel der Ersten Frauen bei Fortuna Celle. Die Geschichte ist leider schnell erzählt. Die Anfangsphase wurde verschlafen. Nach 20 Minuten führten die Eisenbahnerinnen durch einen Hattrick von Lisa Zimmermann mit 3:0, nach einer halben Stunde gar mit 4:0, da die Stürmerin erneut zugeschlagen hatte.

 

Bei St. Pauli stimmte definitiv die Einstellung nicht. Nach dem großartigen 2:1 über Bremen fehlten entscheidende Leistungsprozente in den Zweikämpfen. Das Team diskutierte nach Spielende über die robuste Gangart der Gegnerinnen und die Schiedsrichterinnenleistung. Kurzum, Celle gelang es, den Hamburgerinnen den Schneid schon in den ersten Minuten abzukaufen.

 

Drei Wechsel zu Wiederbeginn stabilisierten die Lage etwas. Nun kam das Team auch selbst zu Chancen. Doch schnell schlug Celle wieder zu. Per Kopfball stellte Inga Domrich den Endstand her.

 

Gemeinsam leiden, gemeinsam feiern

Nach dem Schlusspfiff schlug Zimmermann das von Fanseite offensichtlich sehr ernst gemeinte Angebot nach Hamburg zu kommen aus: "Ich bin ein Landmensch." Und ja, sie hätte schon einmal vier Treffer in einem Spiel erzielt, verabschiedete sie sich aus der Vereinsgaststätte und wünschte den mitgereisten Fans eine gute Heimreise.

 

Diese konnte das braunweiße Team nur verspätet aufnehmen. Aber nicht weil eine Fanblockade den Bus gehindert hätte. Nein, ein runder Geburtstag eines Fans musste noch gebührend begangen werden. Die erstmals in einem selbst organisierten Bus angereisten Anhänger bauten ein großes Buffet auf und feierten mit den Spielerinnen trotz der haushohen Niederlage.

 

Der Rückschlag erfolgte vielleicht im richtigen Moment und hat die Sinne für die folgende Aufgabe geschärft. In zehn Tagen steht mit dem Pokalspiel in Wellingsbüttel ohne Frage ein wichtigeres Spiel auf dem Programm.

 

Natur- vs. Kunstrasen

Dennoch darf natürlich über die Gründe des Leistungsabfalls diskutiert werden. Auffällig ist, dass das Team in dieser Saison viermal auf Naturrasen antrat und viermal in Rückstand geriet. Bei Gretesch und in Havelse konnten diese Rückstände durch eine Energieleistung noch gedreht werden. Beim Spitzenteam Delmenhorst sprang ein Remis heraus.

 

In Celle war das nach einer kräfteraubenden Vorrunde nicht mehr möglich. Das Team trainiert bislang dreimal in der Woche auf Kunstrasen und hat offensichtlich Probleme mit der Umstellung, wenn auswärts auf einem Naturfeld gespielt wird. Daher wäre es natürlich wünschenswert, wenn es der Verein ermöglichen würde, einen Trainingstermin auf Naturrasen anzubieten.

 

Bilder gibt es vom Geschehen an dieser Stelle in Celle leider keine. Der Schreiber dieser Zeilen hatte sich der Leistung des Teams nahtlos schon im Voraus angeglichen: Erstmals Kamera vergessen. Tommy Molotow ist es übrigens zu verdanken, dass dieser Text nun doch mit einem Foto für sich werben kann. Danke!

 

 

 

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