Am Samstag werden zwei Spielerinnen des FC St. Pauli Ihren Abschied vom Leistungsfußball erklären, die über viele Jahre hinweg das Team und die Abteilung geprägt haben. Annette Matthes und Inga Wassmuss gehören zu den Spielerinnen, die noch Bezirksligazeiten und den Grandplatz an der Feldstraße kennen. Und dem Autor dieser Zeilen zwei ganz besondere Tore schenkten. Doch dazu später mehr.
Als Annette und Inga beim FC St. Pauli anfingen, war die Bezirksliga noch die unterste Spielklasse. Es gab die IV. des HSV in der Parallelstaffel. Das wäre Schmach genug gewesen, wenn sich jemand für diese Petitesse interessiert hätte. Es gab eine zweistellige Niederlage im Pokal gegen die Rothosen. Das tat schon ein wenig mehr weh. Selten waren Siege. Ein Tor reichte schon, um Begeisterungsstürme unter den wenigen anwesenden Fans auszulösen. Aus dieser entspannten Atmosphäre heraus entwickelte sich das Team zu einer Leistungsgemeinschaft, die nun 2015 das zweite Jahr in Folge eine sehr überzeugende Saison in Hamburgs höchster Spielklasse absolviert. Insgesamt drei Aufstiege (einen Abstieg) durften seitdem gefeiert werden. Der vorläufige Höhepunkt war das Erreichen des Pokalhalbfinals in diesem Jahr vor 400 - 500 Fans. Annette und Inga waren in dieser Zeit omnipräsent, engagierten sich auf und neben dem Platz und hatten entscheidenden Anteil an diesem Aufschwung.
Die vielseitige Kämpferin
2005 wechselte Annette Matthes von Grün-Weiß Eimsbüttel an die Feldstraße. Es gibt keine Position, die sie in den vergangenen zehn Jahren nicht ausgefüllt hat. Sogar als Torhüterin wusste sie zu glänzen, wenn aufgrund von Personalmangel keine Spielerin die Aufgabe zwischen den Pfosten übernehmen wollte. Auf dem Platz gab sie stets alles, kämpfte mit jeglichen zur Verfügung stehenden Mitteln und wusste jeden Vorteil zu nutzen. Sie ackerte auf dem Platz, grub buchstäblich jeden Quadratmeter um, sodass man manchmal die Befürchtung hatte, der Platzwart könnte sie nach dem Spiel zu einer Extraschicht Platzpflege verdonnern. Ihr Körper zollte der Spielweise in den letzten Jahren zunehmend Tribut. Verletzungen häuften sich, Ausfallzeiten wurden länger. In dieser Saison stand sie leider noch keine einzige Minute auf dem Platz. Deswegen ist sie sich auch nicht sicher, ob sie in der Ü30 weitspielen kann und will. Abseits des Feldes engagierte sie sich bei Projekten wie Keniakicker und ganz besonders bei den obligatorischen Festen. Dank ihres unendlichem Ideenreichtums wurden diese oft noch ein wenig spezieller als sie es ohnehin schon waren.
Die rechtschaffende Gestalterin
Drei Jahre vor Annette entschloss sich Inga Wassmuss für den FC St. Pauli gegen das runde Leder zu treten. Seitdem hat keine Spielerin so viele Partien für den Verein absolviert wie sie. Dabei war Inga, der Ungerechtigkeiten stets ein Dorn im Auge sind, jede Sekunde auf Fairness bedacht. Manchmal übertrieb sie es sogar dabei. So beispielsweise am 18. April vor fünf Jahren, als sie in Schenefeld einen Einwurf nicht ausführen wollte, da neben ihr im Aus eine verletzte Spielerin lag. Annette wartete laut rufend verzweifelt auf den Ball, da sich eine sehr gute Konterchance bot. Doch Inga blieb standhaft. Erst als Schiedsrichter Peter Otto sie ermahnte, doch endlich den Ball ins Spiel zu bringen, setzte sie unter lautstarkem Protest das Match fort. Auf dem Feld übernahm sie als Kapitänin viele Jahre Verantwortung. Dies galt und gilt auch abseits des Platzes. Als Leiterin vertrat sie die Abteilung innerhalb des Vereins. Viele Initiativen - auch außerhalb der Abteilung - fanden in ihr eine wertvolle Unterstützerin. Ingas Herz ist ohne Zweifel braun-weiß. Sie wird für die Ü30 in Zukunft ihre Fußballschuhe schnüren.
Zwei besondere Tore
Anekdoten gibt es natürlich reichlich. Sie würden hier Seiten füllen. Ich möchte mich auf zwei sehr persönliche Geschichten beschränken. Annette und Inga erzielten viele Tore - wichtige und unwichtige. Zwei haben einen ganz besonderen Wert für mich.
Die persönliche Widmung
Vor zweieinhalb Jahren trat das Team bei dem anderen Hamburger Verein mit braunweißen Farben an - Komet Blankenese. Annette war an diesem Nachmittag bei Sonnenschein in Hochform. Aus einem schwierige Winkel zog sie ab. Der Fernschuss saß. Mit weit ausgestreckten Armen rannte sie gen Seitenlinie und kommentierte mit lauten Worten: "Toebe, das Tor ist für Dich." Am Ende hieß es 2:0 für St. Pauli - beide Tore Matthes, die persönliche Nachrichten oft mit ihrer Trikotnummer 19 schmückte. Es ist das einzige Tor, das mir jemals gewidmet wurde.
Das schönste nie gesehene Tor
An dieser Stelle muss ich kurz einschieben, dass ich außerhalb meiner journalistischen Tätigkeit zu Übertreibungen neige und gerne Geschichten ausschmücke. Doch die folgende Beschreibung trifft
in jedem Detail zu. Im Herbst 2009 zog eine von mir sehr geschätzte Wohnungsgenossin nach vielen Jahren aus, worüber ich nicht glücklich war. In der Nacht vor dem Umzug rief ich deshalb Inga an
und erzählte von der für mich schwierigen Geschichte. Ich erdachte mir einen Trost. Wäre es nicht toll, wenn sie an diesem Wochenende ein Tor schießen würde? Ein symbolisches Tor, welches zeigen
würde, dass die Welt doch irgendwie gerecht sei. Der Haken an der Sache? Sie hatte seit über einem Jahr keinen Treffer mehr erzielt. Alstertal-Langenhorn hieß der Gegner an jenem Wochenende. Aus beruflichen Gründen konnte ich mir das Heimspiel nicht ansehen. Nach Spielende erreichte mich eine
SMS. Die Partie war eine trostlose. Nach einer schwachen Leistung stand es bis zur Nachspielzeit 0:2. Es gab noch eine letzte Ecke für St. Pauli. Der Ball flog herein, sprang Inga vor die Füße
und sie schoss trocken ein. Es gibt Geschichten, die nicht sein können. Es gibt Zufälle, die nicht wahr sein können. So etwas geschah an jenem Nachmittag: Das schönste und wichtigste Tor, das ich
nie sah. Für mich damals Anlass genug, ein Märchen über dieses Tor zu schreiben.
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#19 (Freitag, 01 Mai 2015 21:32)
Danke Toebe!
Tarja (Samstag, 02 Mai 2015 11:40)
Das hast Du aber toll geschrieben! Mir stehen die Tränen in den Augen ❤️